Polizei überbietet sich mit Superlativen – und wird dabei nicht einmal von der eigenen Statistik gestützt

In einer gemeinsamen Stellungnahme berichten die Polizeipräsidenten von Gelsenkirchen und Dortmund, Tim Frommeyer und Gregor Lange, von einer sich immer schneller drehenden „Spirale der Gewalt“ in den Stadien der ersten und zweiten Bundesliga. Da ist es nur blöd, wenn die eigens von der Polizei erhobene und veröffentlichte Statistik der Zentralen Informationsstelle Sport (ZIS) diese Behauptung ad absurdum führt.

Im Vergleich zur Vorsaison besuchten knapp 4,3 Millionen Zuschauer mehr die Stadien der ersten vier Ligen, wobei es zu einem deutlichen Rückgang der Verletzten (-17,2%) und der Strafverfahren (-22%) kam. Ebenfalls die Zahlen der verletzten Polizisten (-48%) und der Einsatzstunden (-8,8%) sind rückläufig. Einzig diejenigen Zahlen, die die Polizei durch ihre eigene Einsatztaktik direkt beeinflussen kann, steigen in diesem Zeitraum. Die freiheitsentziehenden und freiheitsbeschränkenden Maßnahmen erhöhten sich um 2,3% – wohlgemerkt bei 15% mehr Besuchern. Wie die Polizei diese Zahlen selbst in die Höhe treiben kann, zeigt beispielsweise der umstrittene Einsatz beim letztjährigen Auswärtsspiel in Magdeburg. Wir verweisen an dieser Stelle einfach auf unsere damalige Stellungnahme.


Woher nehmen Tim Frommeyer und Gregor Lange nun also den Anlass zu ihrer Pressemitteilung? Der Verdacht liegt nahe, dass aus Angst vor den erfreulich positiven Zahlen der ZIS nun die eigene Relevanz als gefährdet gesehen wird. Man kann sich nicht immer auf steigende Zahlen der Gewalt berufen, um im Falle eines Rückgangs die Aussagekraft der eigenen Statistik in Frage zu stellen! Als Begründung für die Befürchtungen der beiden Polizeipräsidenten werden einige Vorfälle der näheren Vergangenheit herangezogen. Diese als „Spirale der Gewalt“ zu bezeichnen, ist zumindest höchst fragwürdig.

Beispielsweise kann dafür die Meldung einer Massenauseinandersetzung zwischen Schalker und Dortmunder Anhängern im September diesen Jahres genannt werden. Während die Polizei von einer Auseinandersetzung mit über 300 Beteiligten spricht und Verletzungen im Gesicht festgestellt haben will, wissen wir aus den Berichten von Anwesenden, dass es zu keinem Zeitpunkt zu der Anwendung von Gewalt kam. Es hat schlicht und ergreifend keine Auseinandersetzung stattgefunden. Das müssten auch die anwesenden und eingetroffenen Beamten bestätigen können, nur scheint dies nicht gewünscht. Dass die Vorfälle aus Dublin für die Stärkung des Narratives einer Eskalation zwischen zwei rivalisierender Fanlager in Deutschland herangezogen wird, ist ebenso durchschaubar wie billig.

Kommen wir also zu den Vorfällen vom vergangenen Samstag. Erste Meldungen in der Presse sprechen über 600 Beteiligten, die Bild hat schnell ein Video der Bodycam eines Polizisten vorliegen und die Nachrichtet verbreitet sich in allen Medien. Am Ende muss zurückgerudert werden. Zehn Personen beider Fanlager sollen in eine Schlägerei verwickelt gewesen sein. Eine angebliche Hooligan-Schlacht, untermalt mit internen Bildern einer Polizei-Bodycam, was im Übrigen auch nicht so ganz der angeblich vertrauensvollen Arbeit der Behörden entspricht, wie sie auf bild.de postuliert wurde, hat demnach also gar nicht stattgefunden.

Abschließend bleibt die Frage, was die Polizeipräsidenten immer wieder zu solchen öffentlichen Auswüchsen hinreisst, wenn die eigenen Zahlen eine eindeutig andere Sprache sprechen. Der aktuelle Druck der von der Innenministerkonferenz ausgehend von DFB und DFL auf die Vereine ausgeübt wird, soll so durch ein öffentlich erzeugtes Zerrbild erhöht werden. Der von diesen Kreisen sicherheitspolitisch geplante „große Wurf“, der nebenbei massiv in die Vereinsautonomie und Fanrechte eingreift, sieht beispielsweise personalisierte Eintrittskarten, Entmündigung der Vereine bei der Stadionverbotsvergabe und deutlich verschärfte Pyro-Strafen vor. Themen, die uns alle die kommenden Monate noch beschäftigen werden.

Wir werden die populistischen Aussagen der Sicherheitsbehörden als Königsblaue Hilfe jedenfalls weiter im Blick behalten und für die Öffentlichkeit wahrheitsgemäß korrigieren !